Bahnchaos
Last updated: Sep 4, 2022
Die Welt hat zur Zeit endlos viele Krisen und Themen zu bieten, um unzählige Zeilen zu füllen. Und dennoch treibt mich kein Unternehmen, kein Thema dauerhafter und stärker zur Weißglut als die Deutsche Bahn. Manchmal überkommt mich das Gefühl, dass dieses Unternehmen als Worst-Cast-Beispiel für BWL-Studierende entworfen worden ist. Wenn es darum geht, sich selbst kaputt zu sparen, Kund*innen zu vergraulen und den eigenen Basisservice nicht auf die Kette zu kriegen, ist die DB absoluter Marktführer! Sie ist des Weiteren ein gutes Beispiel dafür, dass Bereiche, die für die Gesellschaft von hoher Bedeutung sind und mit denen sich keine hohen Gewinne erzielen lassen, ohne dabei Menschen zu schaden oder wichtige Infrastruktur vermodern zu lassen, nicht an die Börse gehören. Und sie zeugt von politischer Kurzsichtigkeit. Jahrzehntelang lag der Fokus auf dem Auto, trotz aller früheren Erkenntnisse in Bezug auf den Klimawandel und der hierfür erforderlichungen Anstrengungen.
Die Folgen sind absurde Preise für noch absurdere Leistungen. Ein Ticket für die nicht mal 40-minütige Fahrt von Osnabrück nach Bad Oeynhausen - eine Pendler*innenstrecke - kostet 14,50 Euro. Zum Vergleich: in Marseille konnte ich für 5,20 Euro alle Transportmittel des ÖPNV in und um Marseille 24 Stunden lang nutzen. Das Monatsticket für Pendler*innen, die nicht nach 9 Uhr losfahren können, kostet nun 261,80 Euro. Nur für die Strecke. Gleichzeitig kostet das NRW-Ticket, welches zur Nutzung von Bus und Bahn in ganz NRW sowie einigen Grenzstädten wie Osnabrück befähigt, 256 Euro. Immer noch saftig, aber der Geltungsbereich ist um Meilen größer. Diese Preispolitik versteht kein Mensch. Und ja, die Strecke zwischen Osnabrück und Bad Oeynhausen wird hauptsächlich von der Westfalenbahn befahren. Bei den Zügen der Deutschen Bahn sind die Preise und Tarife aber ähnlich und das liegt vor allem an den Trassengebühren, eine Art Mautgebühr für Züge, sowie höhere Stromkosten. Mit anderen Worten, es ist auch ein politisches Problem.
Hat man einmal geschluckt, tief durchgeatmet und sich ein solches Ticket gekauft, kommt die nächste Enttäuschung in Form von fehlenden Leistungen. Wie oft kommt es vor, dass man sich für fast 5 Euro einen Sitzplatz im Fernverkehr erkauft hat (auch das eine Schweinerei bei den Ticketpreisen), nur um dann festzustellen, dass der Wagen mit eben diesem Sitzplatz fehlt. Oder man findet ihn vor, muss dann aber unangenehmerweise eine andere Person von seinem Sitzplatz verweisen, denn man hat ja “reserviert”. Eine Unannehmlichkeit, die man in einem französischen TGV zum Beispiel nicht erleben muss, auch nicht in dem günstigeren OUIGO-TGV, denn da bekommt man automatisch einen Sitzplatz zugewiesen, inklusive! Kaum zu glauben, dass in anderen Ländern kein Bahnunternehmen darauf kommt, einer Person, die bereits über 100 Euro für ein Ticket geblecht hat, noch 4 Euro und ein paar Gequetschte für den Luxus eines festen Sitzplatzes abzuknüpfen. Offensichtlich haben nicht alle Ryanair als Vorbild. Aber gut, nehmen wir an, ein Sitzplatz ist gebucht und man findet diesen auch vor, dann gibt es immer noch das Problem mit der Pünktlichkeit. Mittlerweile sind 10 Minuten für eine*n erprobte*n Bahnfahrer*in nichts. Und auf manchen Streckenabschnitten muss man zu manchen Zeiten schon froh sein, wenn der Zug überhaupt kommt. Hier mein Bahn-Erlebnis vom Donnerstag, den 01. September:
Nach einem anderthalbwöchtigen Urlaub in Frankreich und Belgien fahre ich am Donnerstagmorgen gegen 7:30 mit der Brüsseler U-Bahn in Richtung des Nordbahnhofs, von dem ein ICE mich nach Köln bringen soll. Bei einem Blick auf die DB App, auf der auch mein Ticket gespeichert ist, fällt mir ein tiefroter Schriftzug auf: “Fahrt fällt aus”. Alternativen werden nicht angezeigt. Zwei weitere Schnellzüge danach fallen laut DB App auch aus. Ich schaue also bereits nach Fernbussen, die mich nach Köln oder Düsseldorf oder zumindest Aachen bringen können, entscheide mich dann aber zum Bahnhof zu fahren, um dort das Personal der SNCB nach Alternativen zu fragen. Diese können mir dann auch eine gute Alternative nennen, die ich mit meinem Ticket auch antreten kann. Ein belgischer IC bringt mich nach Verviers, wo direkt ein Regiozug bereitsteht, der uns nach Aachen Hbf bringt. Im Zug wurde uns diese Verbindung auch mehrmals in vier Sprachen durchgegeben. Von so viel Engagement war ich begeistert, das kenne ich von meinen heimischen Bahnanbietern nämlich nicht. Von Aachen aus kam ich dann auch gut durch nach Ratingen, wo ich meine Oma besuchte. Der Heimweg nach Osnabrück wurde dann wieder spannender. Ein Personalnotstand führt nämlich bei einigen Verbindungen, darunter der RE2 von Düsseldorf nach Osnabrück und vice versa, bis zum 18. September zu Zugausfällen. Meiner war hiervon betroffen. Dank meiner Partnerin hatte ich die Information, dass ich auf dieser Strecke mit meinem Ticket auf IC, EC und ICEs ausweichen darf. Dies habe ich dann auch zumindest bis Münster gemacht, wo ich dachte, die RE2 erreichen zu können. Diese kam dann aber über 20 Minuten zu spät - wobei die Zeit immer sukzessive erhöht wurde - und ich entschied mich, einen weiteren ICE nach Osnabrück zu nehmen. Am Ende hat alles gut funktioniert. Leider kann kann ich mich jedoch kaum mehr an einen Tag erinnern, an dem ich nicht permanent Alternativen checken musste, um irgendwie meinen Zielort zu erreichen. Entspannt lesen und Musik hören, zwei gute Argumente fürs Bahnfahren, kann man dabei auch nicht.
Ein schlimmeres Erlebnis hatte ich auf dem Hinweg. Dort bin ich mit einem privaten Bahnunternehmen in Leverkusen gestrandet, wo es uns wegen Überfüllung alle herausgeschmissen hat. Abgesehen von der Tatsache, dass ich in anderen Ländern schon viel überfülltere Züge erlebt habe, fand ich den Umgangston der Kundenbetreuerin mit den Bahngästen unmöglich. Vor dem Rausschmiss hat sie zwei Mal gegen zwei Fahrradfahrende gepestet, die sofort den Zug verlassen sollten, weil dieser so voll war. Ich habe mich gefragt, warum genau die zwei den Zug verlassen sollten, man hätte ja auch nett fragen können, ob manch andere Menschen vielleicht den nächsten Zug nehmen könnten. Wenn es nur um eine Überfüllung des Zuges geht, ist es ja letztendlich egal, wer rausgeht. Und soweit ich weiß, haben Fahrradfahrende auch ein Recht auf Mitnahme. Jedenfalls wollten diese zwei Personen nicht aussteigen und so wurden wir unter Androhung der Herbeirufung der Bundespolizei an einem kleinen Bahnhof von Leverkusen der Bahn verwiesen. Hatte man die Evakuierung des Zuges noch mit Sicherheitsaspekten begründet, straften die Szenen am Bahnhof diesem Narrativ Lügen. Wenn hunderte Menschen, von denen einige auch kein Deutsch sprachen (jede Ansage war nur auf Deutsch), sich verwirrt an einem ihnen unbekannten Bahnhof wiederfinden, führt das zu einer Masse, die durchaus kritisch werden kann. Wir haben uns also eng an eng aus dem Bahnhof herausbegeben. Die folgende Station wäre in Köln gewesen, wo alle hinwollten. Nun befanden wir uns jedoch an einem kleinen Bahnhof, an dem zu der Zeit auch noch unzählige Baustellen waren und wir dadurch einen eingeschränkten Zugverkehr antrafen. Die einzige Alternative war der Bus und der nächste, der nach Köln gefahren wäre, fuhr 50 Minuten später ab. Ich habe mir letztendlich ein Taxi mit drei anderen Menschen für 12 Euro pro Person geteilt.
Immerhin ist die “9-Euro-Ticket-Zeit” mit ihren überfüllten Bahnhöfen nun vorbei. Einen Artikel über mein Bahnabenteuer mit dem 9-Euro-Ticket findet ihr hier. Die Unzuverlässigkeit der Bahn jedoch nicht. Und so hat man zwar leerere Züge, aber unverschämt hohe Preise für wenig Dienstleistung. Doch ich möchte diesen Artikel nicht ohne einen kleinen Hoffnungsschimmer enden. Die Unzulänglichkeiten der Bahn sind spätestens diesen Sommer allen klar geworden, ebenso wie die Notwendigkeit eines besseren ÖPNVs. Die Nachfolge des 9-Euro-Tickets wird gerade im Koalitionsausschuss rege debattiert und vielleicht können wir auf ein vergünstigtes bundesweites Ticket ab Januar 2023 hoffen.